PRESSEMELDUNG

 

Helga Meyer wäre jetzt 90 Jahre alt geworden

13 Sep 2021, Geschrieben von Melanie Hainke in Pressemeldungen

RHEINISCHE POST, 10.08.2021

Gemeinsam mit den Eltern und Schwester Erika wurde Helga Meyer 1941 in das Judenghetto Riga-Moskau deportiert.

VON SANDRA GRÜNWALD

LANGENFELD Am 9. August 1931 wurde Helga Meyer geboren. Sie war ein Sonntagskind, obwohl sich dies in ihrem kurzen Leben leider nicht bemerkbar machen sollte. Ihre Eltern Bernhard und Emmy Meyer besaßen das Textilgeschäft Meyer. Die Adresse war Richrath-Reusrath, Hauptstraße 133. Im Erdgeschoss des Hauses befand sich das Geschäft, im ersten Stock war die Wohnung der Meyers. Eigentlich waren die Meyers eine beliebte Familie in Langenfeld-bis zum Januar 1933. Da begann plötzlich ein rauer Wind durch Deutschland und auch durch Langenfeld zu wehen. Der „Führer Adolf Hitler“ wurde Reichskanzler und der Ortsgruppenleiter der NSDAP wurde Bürgermeister in Langenfeld.

Das Feindbild „Jude“ wurde systematisch aufgebaut und bald glaubte die Mehrheit, dass Deutschland nur gerettet werden könne, wenn das „internationale Judentum“, der Jude an sich“, der „rassefremde Untermensch“, also auch die zweijährige Helga, ihre sechs Jahre ältere Schwester Erika und ihre Eltern aus dem Volke ausgemerzt und vernichtet würden.

„Viele Langenfelder Frauen und Männer glaubten daran, der Lehrer, die Kindergärtnerin, die Mädchen und Buben von der Hitlerjugend, Handwerker und Betriebsleiter, die Frauen der deutschen Frauenschaft“, erzählt Matthias Kuchta, der sich intensiv mit dem Schicksal von Helga Meyer beschäftigt hat. „In den Zeitungen von damals kann man noch heute ihre Namen und Reden nachlesen, wie sie Zeugnis ablegten und Hitler die ewige unverbrüchliche Treue schwuren. Im März 1933 hielten SA Männer Wache vor dem Haus der Meyers. Sie brüllten jeden an, der hier einkaufen wollte: ´Ihr seid wohl Judenfreunde, kauft nicht bei Juden!`“

1938 wurde Helga eingeschult in die katholische Volksschule. Der erste April war der erste Schultag. Eltern, Erstklässler und Lehrerschaft versammelten sich unter der Hakenkreuzfahne auf dem Schulhof. Ob die Meyers auch dabei waren? „Der Schulleiter hatte kurz zuvor eine Sammlung durchgeführt und mit dem Geld eine Büste von Hitler gekauft“, erzählt Kuchta. „Sie stand im Schulkorridor. Da musste die 6-jährige Helga dran vorbeigehen“. Dann kam der 9. November 38. Am späten Abend überfielen SA Männer überall in Langenfeld die Geschäfte der Juden, auch das Textilgeschäft der Familie Meyer wurde mit Äxten und Messern verwüstet. Ab dem 15. November 1939 war für Helga der Besuch einer öffentlichen Schule verboten und sie musste nach Bonn in eine jüdische Privatschule. 1941 wurde allen jüdischen Kindern der Schulunterricht gänzlich untersagt, auch trug Helga ab da den Zweitnamen Sara sowie den gelben Judenstern.

In Langenfeld lebten alle Juden nun im Judenhaus an der Ganspohler Straße. In der Adventszeit 1941 wurden die Meyers mit einem Güterwagen zum Schlachthof Düsseldorf-Derendorf transportiert, wo 1007 Juden untergebracht waren. Von dort ging es mit dem Zug ins lettische Riga – drei Tage ohne Trinkwasser. „Manchmal durfte Helga wohl aussteigen und Schnee sammeln“, meint Matthias Kuchta. Die Meyers kamen in das Judenghetto Riga- Moskau, wo entsetzliche Zustände herrschten.

„An ihrem 13. Geburtstag, am 9. August 1944, wurde Helga in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig in den Ostseedünen eingeliefert“, erzählt Kuchta. Im Sand von Stutthof verliert sich Helgas Spur. Sie gilt bis heute als verschollen. „Heute wäre sie 90 Jahre alt geworden“, meint Kuchta, „vielleicht hätte der Bürgermeister gratuliert.“ Warum ist es ausgerechnet Helga Meyer, die Matthias Kuchta so am Herzen liegt? „Ihr Stolperstein ist direkt vor der Bibliothek. Da steht man, unterhält sich. Außerdem hat es mich zutiefst bewegt, dass sie an ihrem Geburtstag ins Konzentrationslager transportiert wurde.“

Niemand weiß, was aus Helga geworden ist. Ist sie verhungert? Wurde sie erschossen, vergast, erschlagen?