Pressemeldung

 

Vier Tiere sollen aufs Altenteil verzichten

01 Sep 2021, Geschrieben von Melanie Hainke in Pressemeldungen

Siegener Zeitung, 2. August 2021

FOTO: JON

„Was Besseres als den Tod bekommst du allemal!“: das Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ als Figurentheater – Matthias Kuchta regt Kopf-Kino an

Das Märchen der „Bremer Stadtmusikanten“ ist wohl viel älter, aber 1819 erschien es in der zweiten Auflage der Märchensammlung der Brüder Grimm, also vor gut 200 Jahren. Die Geschichte hat an Aktualität nichts eingebüßt. Davon konnten sich Kinder und Erwachsene am Samstag beim Ferien-Kindertheater im Siegener Schlossgarten überzeugen. Puppenspieler Matthias Kuchta aus dem niedersächsischen Bleckede ist seit 40 Jahren im In- und Ausland mit Märchengeschichten, nicht nur von den Brüdern Grimm, unterwegs. Er bringt diesen Teil unserer Kulturgeschichte Groß und Klein nahe. Sein Figurentheater hat den dänischen Namen „Lille Kartofler“, auf Siegerländisch „Döffelcher“.

So war es früher, so ist es heute: Irgendwann kommen wir aufs Altenteil, werden nicht mehr gebraucht. Wir sollen durch jüngere, flexiblere „Kräfte“ ersetzt werden, so auch die Tiere des Märchens: Esel, Hund, Katze, Hahn – und der Schauspieler selbst auch. Zu Beginn der Szene liest er einen zerknitterten Brief, in dem steht, dass er
entlassen wird. Aber einmal noch soll er mitspielen, das fordern die Kinder.

Weil er ja nun schon so alt ist und immer gebrechlicher wird, bittet Kuchta die Kinder, ihm zu soufflieren; er hört ja nicht mehr so gut. Nach und nach erscheinen weitere Figuren: ein dickbäuchiger Bauer, dem ein altersschwacher Esel gehört. Eine Sauberfrau, die immerzu aufräumt und von einer Maus erschreckt wird, die ihre Katze nicht mehr fangen kann.

Köstlich die Schadenfreude Kuchtas beim Aufziehen der winzigen Spielzeugmaus! Ein Jäger und sein altersmüder Hund, der nicht mehr auf „Such – fass – Fuß!“ hört. Eine dicke Bäuerin lockt Rotschopf, den Hahn, mit Hühnerfutter zum großen Suppentopf, in dem er enden soll. Die Tiere wittern Böses und suchen das Weite. Den Spruch aus dem Märchen „Was Besseres als den Tod bekommst du allemal!“ denken sie sich und beschließen, die Bremer Stadtmusikanten zu werden. Ein Musiker-Leben als Gegenpol zum Abgeschoben-Werden! Darüber sollte man mal nachdenken …
Nun, die Reise nach Bremen ist weit, und die vier abgehalfterten Tiere brauchen einen Unterschlupf. In einem Haus, symbolisiert von einem windschiefen Fensterrahmen, den der Wind im Schlossgarten hin und wieder umweht – was Kuchta geschickt ins Schauspiel integriert –, wohnen die Räuber. Das sind zwei Puppenköpfe mit einem Körper aus Stofffahnen. Kuchta versteht es, bei den Zuschauern Kopf-Kino anzuregen. Das Publikum wird kurzerhand in die
Handlung einbezogen. Von vorne nach hinten bilden die Reihen das Unterholz, die Baumschule, die mittelgroßen Bäume und die dicken alten Eichen, wo die Tiere ja hindurchmüssen auf dem Weg nach Bremen.

Kuchta räumt den Koffer weg, in den die Räuber gesperrt wurden. Drin rumort es jedes Mal, wenn er den Deckel anhebt. Dann sind die Bösewichte eingeschlafen und schnarchen sogar – was den Puppenspieler prompt veranlasst, von den Kindern das unterschiedliche Geschnarche von Mama und Papa imitieren zu lassen. Da machen alle begeistert mit, sogar die Großen.

Kuchtas Puppenwerkstatt hat vor 40 Jahren diese Puppen und Stoff-Tiere hergestellt. Seitdem tourt er mit ihnen. Er fragt die Kinder, ob sie gesehen haben, wohin der Hahn entfleucht ist. „Daaa!!“ erschallt es aus vielen Mündern. Die Kinder sind gebannt dabei. Irgendwann sind alle Tiere wieder da und bilden einen Turm. Das ist ein Applaus wert!

Kuchta teilt die Stimmen der Tiere im Publikum ein: I-ah, Miau, Wauwau und Kikeriki sollen ertönen, aber zuvor wird die kleine Rieke aufgefordert, die „Ruhe vor dem Sturm“ zu mimen – was sie auch mit angelegten Armen und stoischer Ruhe tut. Das ist auch notwendig, denn nun erstürmen die Tiere des Märchens unter lärmender Geräuschkulisse die Räuberbude, wo sie sich so wohlfühlen, dass sie beschließen, dort zu bleiben.

Das über 200 Jahre alte Märchen geht nicht zu Ende, ohne dass den Kindern und den Erwachsenen eingeschärft wird, dass auch sie später mal alt sein werden, aber keiner soll deshalb unbrauchbar sein und weggeworfen werden. Die Zuschauer applaudieren begeistert, und einige Kinder inspizieren zum Schluss neugierig Esel, Hund, Katz’ und Hahn.